Leseprobe
160 Das »lange 19. Jahrhundert« – Auftakt zur neuzeitlichen Stadtentwicklung, Industrialisierung, Großstadtbildung erweiterung durch neue Vorstädte und erste Einge- meindungen. Die 1844 in der Kammgarnspinnerei Facili- des & Co. aufgestellte Dampfmaschine, der zwischen 1848 und 1851 erfolgte Anschluss an das überregionale Eisenbahnnetz und die Inbetriebnahme von zwei mo- dernen Schweizer Stickmaschinen in der Firma von Schnorr & Steinhäuser im Jahr 1858 markierten den lo- kalen Anbruch der Industriellen Revolution. Parallel wirkte sich die industrielle Verstädterung erheblich auf die Siedlungsstruktur aus, die jedoch durch die umfang- reichere flächenhafte Ausdehnung der Wohnbebauung eine noch größere Umgestaltung erfuhr, deren Dynamik von der demografischen Verstädterung ausgelöst wurde. Da die drangvolle Bevölkerungsentwicklung alle städtischen Wirtschafts- und Lebensbereiche, darunter auch soziokulturelle Betätigungsfelder, maßgeblich be- einflusste, stellt sie den aussagekräftigsten Gradmes- ser der Urbanisierung von Plauen bis zur Vollendung der Großstadtwerdung dar. Der Ort hatte sich zwar von 1795 mit etwa 5000 Einwohnern bis 1866/67 mit rund 20000 Bewohnern immerhin von einer Kleinstadt zur Größe einer Mittel- stadt entwickelt, verzeichnete aber danach bis 1904 die umfangreichste Bevölkerungszunahme mit 80000 Ein- wohnern, sodass der statistische Schwellenwert einer Großstadt erreicht wurde. Dabei wies der Zeitabschnitt bis zur Entstehung der Mittelstadt zwei Phasen mit ge- deihlichen Zuwachsraten der Einwohnerzahl auf, einer- seits ab 1833 durch einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung und andererseits ab 1847 durch die abseh- bare Anbindung an das Eisenbahnnetz. Der eigentliche großstadtbildende Durchbruch erfolgte ebenfalls in zwei Phasen, einerseits durch ein deutlich zunehmen- des Bevölkerungswachstum ab 1872 und andererseits in einem erhöhten und beschleunigten Anstieg um 50000 Einwohner ab 1894. Ursachen dieser eindrucks- vollen demografischen Entwicklung waren die bereits anfänglich vorhandenen hohen Geburtsraten und, ab- gesehen von den Epidemiejahren, die absinkenden Sterbeziffern sowie vor allem die anteilmäßig stärker hervortretende Zuwanderung. Schon in den Jahren 1867 bis 1871 beruhte der Plauener Einwohnerzuwachs zu zwei Dritteln auf dem Zuwanderungsgewinn und nur zu einem Drittel auf dem Geburtenüberschuss. Die durch den beträchtlichen Zuzug ausgelösten Ansiedlungen führten zu erheblichen proportionalen Veränderungen in der bisherigen räumlichen Bevölke- rungsverteilung, wobei zuerst die Stadterweiterungs- areale immer mehr als Wohnstandorte an Bedeutung gewannen. Während die Innere Stadt (Alt- und Neustadt) noch die höchste Einwohnerzahl verzeichnete, sank ihr Anteil bis 1904 stark ab, weil sich durch die auf relativ kleiner Fläche vorhandene dichte Bebauung keine Aus- dehnungsmöglichkeiten darboten, sodass sogar ansäs- sige Gewerbetreibende in andere Stadtteile umzogen. So siedelten sich auch zahlreiche Neuankömmlinge zu- erst in der angrenzenden Neundorfer Vorstadt, in der besonders verkehrsgünstig gelegenen Bahnhofsvor- stadt und in der mit zahlreichen Textilstandorten aus- gestatteten Brückenvorstadt an, der die aufkommenden benachbarten Arbeiterwohngebiete der Ost- und Süd- vorstadt statistisch zugeordnet wurden. Da sich diese Stadtteile im Laufe der nächsten Jahrzehnte weiter aus- dehnten, behielten sie ihre Vorrangstellung in der Be- ③ Die Entwicklung der Plaue- ner Einwohnerzahl im Zeit- raum von 1804 bis 1904 Kramer 2003 1804 100000 90000 80000 70000 60000 50000 40000 30000 20000 10000 Jahr 1866/67 – 20000 Einwohner 100000 Einwohner Einwohner Kleinstadt Zuwachs um 14000 Einwohner Zuwachs um 80000 Einwohner Mittelstadt Großstadt 1810 1820 1830 1840 1850 1860 1870 1880 1890 1900 1904 April 1904 – 1844 1848 1858
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