Leseprobe

159 Herausragende Vorgänge im Plauener Zeitgeschehen sentliche Einschnitte beziehungsweise Belastungen für die Einwohner hervorbrachten. Insbesondere die durch die französische Besatzungsmacht und weitere Trup- penverbände verursachten Durchmärsche, Beschlag- nahmungen, Versorgungsauflagen, Repressalien, Plün- derungen und Gewalttätigkeiten sowie die partiellen Folgen der Kontinentalsperre für die Textilherstellung riefen umfangreiche Beeinträchtigungen hervor. 1816 setzte außerdem eine erhebliche Verteuerung des Ge- treidepreises ein. Durch die zugleich sehr niedrigen Ein­ kommen nahm die Armut immer mehr zu, sodass es 1831 zu einem Weberaufstand kam. Ausgehend von den re- volutionären Bewegungen der Jahre 1830 und 1848 in Frankreich hatten sich auch im Vogtland Bestrebungen zur Minderung des offensichtlichen Notstandes und zur Durchsetzung demokratischer Mitsprache in der konsti­ tutionellen Monarchie offenbart. Da 1846 wiederum eine Missernte mit erhöhten Brotpreisen aufgetreten war, wurden die Monate bis zur ersten Ernte im Folgejahr zu einer zusätzlichen Belastung der zunehmenden ärme- ren Einwohnerschichten von Webern und Stickern. Am 24. Juli 1847 wurde daher der erste Erntewagen auf dem Altmarkt mit einem Dankesfest bejubelt. Die auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen und politischen Lage in Sachsen ausgerichteten Bewegungen wurden ergänzt durch das sich verstärkende Eintreten für eine nationale Einheit in einem freiheitlichen Bundesstaat. Befördert wurde dies durch die sich bemerkbar ma- chende oppositionelle Regsamkeit und die politischen Ambitionen der seit 1830 unter Otto Leonhard Heubner bestehenden Plauener Turnerschaft, der unter anderem Gustav und Friedrich Fincke angehörten, Söhne des ebenfalls in die Aktionen von 1848/49 einbezogenen Kantors Johann Friedrich Fincke. Dessen Befürwortung der Annahme der Reichsverfassung durch das Land Sachsen führte zu seiner Verhaftung. Bereits 1833 durch Forderungen nach demokratischen Reformen in Erscheinung getreten und 1848 Gründungsmitglied des örtlichen Volksvereins, der neben weiteren vaterlän­ dischen Vereinigungen die Märzbewegung vorantrieb, war Stadtrichter Heinrich Adolph Haußner, der den radi- kalen Linken angehörte. Er konnte jedoch 1849 in die Schweiz fliehen und kehrte erst 1863 nach Plauen zu- rück. Auch der Kaufmann Wilhelm Zschweigert entkam als Obmann des im Mai 1849 gebildeten Wehrausschus- ses durch Flucht in das Alpenland. Der Schriftführer des Ausschusses, Heinrich Lindemann, Konrektor des Gym- nasiums, blieb dagegen in Plauen, wurde aus dem Schul- dienst entlassen und zu einer sechsjährigen Zucht- hausstrafe verurteilt. Die höchsten Strafen erhielten der ehemalige Turnvater Otto Leonhard Heubner, der seit 1843 in Freiberg als Kreisamtmann tätig war, und der ab 1862 als Sekretär der in Plauen ansässigen Han- dels- und Gewerbekammer angestellte Rechtsanwalt und Notar Franz Moritz Kirbach. Obwohl beide 1850 be- ziehungsweise 1852 zum Tode verurteilt wurden, er- folgten noch Schuldspruchveränderungen in lebens- lange Zuchthausstrafen und schließlich 1859 in Begna- digungen, jedoch ohne Wiedererlangung der bürgerli- chen Ehrenrechte. Allerdings wurden einige progressive Plauener Bürger, die deutlich freiheitlich-demokrati- sche beziehungsweise liberale Ideen vertraten, nicht belangt. Dazu gehörten unter anderem Christian Böhler, August Wieprecht und Julius Otto Heinrich von Dieskau, dem sogar am 4. Mai 1871 das Ehrenbürgerrecht ver- liehen wurde. Obwohl nicht an den Vorkommnissen von 1848/49 beteiligt, waren die Plauener Franz August Mammen und Dr. Alexander Karl Hermann Braun direkt eingebunden in die Zeitgeschehnisse, wobei Dr. K. Braun, der seinen Doktortitel 1854 ehrenhalber erwarb, selbst 1848/49 Regierungsverantwortung in Sachsen ausübte. Der aus Ostfriesland stammende Kaufmann F. A. Mammen, der seit 1834 in Plauen lebte, war 1848 in das Frankfurter Parlament gewählt worden und konzen­ trierte sich damit auf die viel diskutierten nationalen Anliegen und weniger auf die speziell sächsischen Pro- bleme. Dabei hatte er bereits 1837 den revolutionär ge- sinnten Robert Blum kennengelernt, mit dem er auch im Briefwechsel stand und der ihn 1839 in Plauen be- suchte. In der Nationalversammlung vertrat Mammen links-liberale Positionen, äußerte seine Vorstellungen in gemäßigter Form und befürwortete eine monarchische Regierungsform auf demokratischer Basis. In seinen späteren Lebensjahren neigte er mehr zu national-libe- ralen Ansichten. Der Jurist Dr. K. Braun engagierte sich schon in den Jahren 1831 bis 1833 politisch und unter- stützte dabei die Verbesserung der Rechtspflege, die Verminderung von Abgaben und die Pressefreiheit. 1839 wurde er Landtagsabgeordneter und 1847 Präsident der zweiten Kammer. Mit seiner gemäßigt-liberalen und vermittelnden Haltung avancierte er 1848 zum ersten bürgerlichen Regierungschef Sachsens und zum Justiz- minister. Zu den ersten Maßnahmen der Märzregierung gehörten unter anderem die Aufhebung der Zensur, die Amnestie für politisch Verurteilte, die Herbeiführung der Vereins- und Versammlungsfreiheit und die Reformie- rung des Wahlsystems. Obwohl Braun über den Großen- hainer Wahlkreis in das Frankfurter Parlament berufen wurde, verzichtete er auf diese Ehrbezeugung und wid- mete sich bis zum Rücktritt seiner Regierung am 24. Fe- bruar 1849 und in seinem Abgeordnetenstatus bis 1862 der Landespolitik, in der die konservativen Kräfte zu- nehmend die Oberhand gewannen. Die besonders dynamischen Einfluss­ faktoren auf die Großstadtwerdung Neben den denkwürdigen politischen Vorgängen in der ersten Jahrhunderthälfte traten weitere bedeutungs- volle Prozesse in Erscheinung, die in den nächsten Jahr- zehnten zu den größten Veränderungen in der bisheri- gen Geschichte der Stadt Plauen führten. Unübersehbar waren die sich ausbreitende Industrialisierung, die Ent- faltung der technischen und sozialen Infrastruktur, das stetige Wachstum der Einwohnerzahl sowie die Stadt- ② Johann Friedrich Fincke (1788–1868) Stadtarchiv Plauen 1830

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