Leseprobe

93 Bernini und Francesco Mochi In Rom ist nur Platz für einen Claudia Kryza-Gersch Als August der Starke 1728 die Sammlung Chigi in Rom erwarb, kamen nicht nur 164 Werke der antiken Skulptur nach Dresden, sondern auch – wenn man die Nicolas Cordier zugeschriebene Büste eines Afrikaners (Abb. 7), die zum Zeitpunkt des Ankaufs als antik galt,1 nicht hinzu zählt – vier »moderne« Skulpturen. Während das Relief einer Heiligen Familie verschollen ist2 und die Figur einer liegenden Heiligen Maria Magdalena schon im 18. Jahrhundert zerstört wurde,3 sind noch zwei dieser »modernen« Werke der Sammlung Chigi in Dresden erhalten: der in diesem Band Bernini zugeschriebene Totenkopf und der Heilige Johannes der Täufer von Francesco Mochi (Abb. 68). Die Dresdner Kunstsammlungen sind somit im Besitz von zwei höchst bedeu- tenden Werken der römischen Barockskulptur. Während jedoch der Name Berninis bis heute nichts von seiner Strahlkraft verloren hat, ist jener Mochis kaum noch jemandem bekannt – ebenso wenig wie sein Heiliger Johannes der Täufer , der an seinem Aufstellungsort in der Katho- lischen Hofkirche (Abb. 67) meist übersehen wird. Kaum jemand, der ihn betrachtet, mag sich darüber im Klaren sein, dass diese imposante Figur für eine wichtige Kirche Roms bestimmt und von einem Papst in Auftrag gegeben worden war: Wurde Berninis Totenkopf für Alexander VII. angefertigt, so wurde Mochis Johannes von niemand Geringerem als dem Barberini-Papst Urban VIII. bestellt. Es lohnt sich also, die Figur und ihren Schöpfer etwas näher zu betrachten. Francesco Mochi stammte aus der Toskana und wurde 1580 in Montevarchi geboren.4 Er war somit um 18 Jahre älter als Gian Lorenzo Bernini, in dessen Schatten er jedoch die meiste Zeit seines Lebens stehen sollte. Der in Florenz ausgebildete Mochi begab sich, wie viele auf Aufträge hoffende Künstler, wahrscheinlich kurz vor dem Heiligen Jahr 1600 nach Rom. Dort genoss er alsbald Förderung durch die bedeutende Adelsfamilie Farnese. Deren Gönnerschaft führte Mochi allerdings für Jahre weg aus Rom. So ging es durch Vermittlung von Mario Farnese, dem Herzog von Latera, zunächst nach Orvieto, das damals zum Kirchenstaat gehörte, wo er zwischen 1603 und 1605 einen fast zwei Meter großen, außergewöhnlichen Verkündi- gungsengel (Abb. 70) schuf.5 Es ist kaum zu glauben, dass dieser Engel, der heftig gestikulierend und mit dramatisch gebauschtem Gewand vom Himmel herabrauscht, aus einem Stück Marmor gearbeitet wurde. Statisch und technisch ging Mochi mit diesem kühn unterschnit- tenen Werk an die Grenzen des Machbaren und an jene zwischen Skulptur und Malerei: Einen derart dynamischen, scheinbar wirklich fliegenden Engel kannte man bisher nur aus Gemäl- den.6 Das Gefühl von Bewegung ist atemberaubend und zeugt vom Aufbruch in ein neues Zeitalter der Künste. Von 1608 bis 1609 fügte Mochi dem Engel eine in ihrer Gestaltung geradezu heroische Maria (Abb. 69) hinzu, die vom Eindringen des Engels in ihr Zuhause mehr empört als verängstigt zu sein scheint. Auch sie ist »in Aktion« wiedergegeben, indem sie soeben, aufgeschreckt von der Erscheinung des Engels, von ihrem Stuhl aufspringt und mit scharfer Wendung des Kopfes über Abb. 68 Francesco Mochi, Heiliger Johannes der Täufer , 1629/30, Marmor, Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Abb. 67 Francesco Mochi, Heiliger Johannes der Täufer , 1629/30, Marmor, Skulpturensammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Aufstellung in der Katholischen Hofkirche in Dresden

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