Leseprobe

5 Die Anfänge einer »modernen Galerie« (Hans Posse) innerhalb der Dresdner Gemäldegalerie am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das heißt das Sammeln von Werken zeitgenössischer, wie man damals betonte »lebender« Künstler, waren von zwei wichtigen Faktoren gekennzeichnet: zum einen von Schwierigkei- ten in der Kanonbildung, also was im »Kunsttempel« Museum den Stempel des zeitlos »Gültigen« erhalten sollte, zum anderen von Problemen bei der Beschaffung der dafür erforderlichen Finanzmittel. Über Ankäufe für die traditionsreiche Galerie entschied zudem damals nicht die Museumsdirektion, sondern eine eigens einge- richtete Galeriekommission, die unter Vorsitz des Kron- prinzen aus auf Lebenszeit gewählten Akademieprofes- soren bestand. Die Direktoren hatten also nur gewisse Optionen zur Auswahl. Karl Woermann (1844–1933) war von1882 bis1910 als erster Kunsthistoriker – nachdem zuvor ausschließlich Künstler dem Museum vorgestanden hatten – Direktor der Königlichen Gemäldegalerie zu Dresden. In seiner langen Amtszeit zielten seine Erwerbungsabsichten vor allem auf Werke der Dresdner Frühromantik, der Nazarener Von Zeitgeschmack, Finanzierungsnöten, Beschlagnahmung und Rückkäufen sowie jüngsten Entdeckungen Werke von Oskar Zwintscher in der Dresdner Gemäldegalerie und im Albertinum B I RG I T DALBA J EWA , ANDREAS DEHMER und der Spätromantiker, der Deutsch-Römer, Werke des französischen, Düsseldorfer, Berliner und Dresdner Re- alismus sowie der Genremalerei. Dabei bemühte er sich oft um charakteristische Einzelstücke; einer seiner Schwerpunkte in Sachen Moderne lag auf der Erwer- bung von Freilichtmalerei. 1 Zeitparallele Phänomene wie Neuidealismus, Symbolismus und Jugendstil, regel- rechte Modeerscheinungen in der Zeit um 1900, hatte Woermann jedoch durchaus auch im Blick: Hauptwerke von Arnold Böcklin kamen unter seinem Direktorat ebenso in die Sammlung wie solche von Max Klinger, um die er sich persönlich besonders bemühte. 1945 wurden einige dieser Werke zerstört. Eine der wichtigsten Finanzquellen zur Erwerbung von Gegenwartskunst war die Pröll-Heuer-Stiftung, 2 über deren Entscheidungen aber weder der Direktor noch die Galeriekommission unmittelbar mitbefinden konnten. Das führte zum Bedauern des Direktors häufig dazu, dass überproportional »Ausstellungsware«, also seltener ein gezielt für museumswürdig befundenes Werk ausgesucht wurde. 1904 wählten die Mitglieder des Akademischen Rats für die Stiftung von Oskar Zwintscher das »Damen- bildnis« (»Bildnis der Gattin des Künstlers«; S. 40) zum Ankauf vom Künstler aus, zu einem Preis von 4000 Mark. Es hatte auf der Sächsischen Kunstausstellung Dresden 1903 auf die Kommissionsmitglieder Eindruck gemacht. In der öffentlichen Bewertung galt das Gemälde zum Zeit- punkt seiner Erwerbung für die Galerie allerdings nicht Oskar Zwintscher: O Wandern, o Wandern! 1902, Detail von Abb. S. 46 Streiflichtaufnahme

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