Leseprobe

205 Als Barr 1927 im Rahmen seiner Dissertation im Fach Kunstgeschichte mit einem Stipendium ein Jahr durch Europa reiste, traf er in zahl- reichen Museen die von Barvitius 1883 beschriebenen Präsentations- situationen an (unter anderem die für das 19. Jahrhundert typische dichte Hängung auf Wänden mit vielseitigen dekorativen Elementen und bespannt mit rotem [galt als harmonisierend]) oder grünem [galt als neutral] Stoff bespannt). 6 Allerdings hatten sich in der Zwischen- zeit auch einige Veränderungen und Neuerungen ereignet. 7 Die Museumsreformbewegung in Deutschland um 1900 hatte ebenso ihre Spuren hinterlassen wie die Ausstellungsexperimente der Avant- garden des frühen 20. Jahrhunderts. 8 Es waren vor allem jene Galerie- räume und Institutionen, die zeitgenössische Kunst zeigten, die Barr interessierten. 9 Denn er war ein begeisterter Anhänger moderner Kunst, was ihn für den Direktorenposten des MoMA prädestinierte. Die Trustees planten das erste Museum für moderne Kunst in New York zu errichten. 10 Das MoMA wurde im November 1929 kurz nach dem Börsencrash eröffnet. Barr war damals 27 Jahre und trat seine Stelle mit der Idee eines Museums der Moderne an, das alle visuellen Künste vereinen sollte. 11 Zunächst begann er jedoch klein: mit 350 Quadratmetern auf einer Etage eines Bürohauses auf der Fifth Avenue. Die erste Aus- stellung »Cezanne, Gauguin, Seurat, van Gogh« versammelte Werke der vier europäischen Wegbereiter der Moderne. Um die einstige Büroetage in Ausstellungsräume zu verwandeln, wurden viele Wände eingezogen. Sie verbargen den ursprünglichen Raumcharakter und schufen ausreichend Hängeflächen − dafür wurden sogar die Raum- ecken mit schrägen Segmenten verbaut ( ° ABB. S. 204) . 12 Die Wände erhielten eine Bespannung mit naturfarbenem Jutestoff. Die histori- schen Schwarz-Weiß-Fotografien dokumentieren eine relativ einheit- liche Beleuchtung der Gemälde, die an Strippen auf Augenhöhe, entlang der Bildmitte ausgerichtet und mit Abstand zueinander in einer Reihe hingen. Die Wände wiesen eine schmale Fußbodenleiste auf und auch der Anschluss zur Decke erfolgte mit Leisten bzw. einem Sturz. Aus heutiger Sicht irritieren im Sinne einer neutralen Präsen- tation insbesondere die vielen Lüftungen, Tapetentüren und Technik- klappen, die Barr nicht davon abhielten, Werke darauf oder darunter zu platzieren. Zu jener Zeit war dieses Display hingegen zurückhaltend und modern, denn der bauliche Dekor war für damalige Verhältnisse auf ein Minimum reduziert. Die Räume, Wände und die Positionierung der Werke wirkten einheitlich und klar strukturiert. Barr begann, hier ein Display zu formen, für das er und das MoMA später bekannt werden sollten. Er erfand dieses jedoch nicht neu, sondern schuf eine eigene Ausrichtung, die zahlreiche Einflüsse aufnahm: Neben den vereinzelten US-amerikanischen Museen, Galerien und Sammlungen, die damals bereits moderne Kunst präsentierten, 13 waren es gerade

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