Leseprobe

206 Ausgebildet als Zeichner und Maler, gründete Hendrik Meijer 1768 eine Tapetenfabrik in Haarlem und fertigte bis in die späten 1770er Jahre großformatige Wanddekorationen an. Ob Meijer nach seinem Weggang aus Leiden 1779 noch als Maler tätig war, ist unklar; auf jeden Fall zeichnete er dekorative Land- schaften. Ein relativ unstetes Leben füh- rend, wohnte er in verschiedenen niederlän- dischen Städten und ließ sich 1789 schließ- lich in London nieder, wo er 1793 starb. Meijers Werk umfasst neben einzelnen italianisierenden Landschaften, wie sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Mode gewe- sen waren, auch topografisch-realistische Motive. Er spezialisierte sich jedoch vor allem auf Jahreszeiten-, Monats- und Tages- zeitenzyklen, in denen er nicht auf eine wirklichkeitsnahe Darstellung der Land- schaft, sondern auf eine dekorative Gesamt- wirkung abzielte, die in Einzelfällen bis zu dramatischem Pathos gesteigert sein konnte. Ein Beispiel dafür ist seine bekann- teste gezeichnete Folge der vier Jahreszei- ten, die sich heute im Teylers Museum in Haarlem befindet. 1 In der Frankfurter Zeichnung ist ein betont pittoreskes, halb baufälliges Bauernhaus unter Bäumen in einer sommerlichen Land- schaft dargestellt – ein in der Landschafts- kunst des späteren 18. Jahrhunderts häufig wiederkehrendes Motiv, das jedoch nur selten so prominent in den Mittelpunkt gesetzt wurde wie hier von Hendrik Meijer. Es ist deutlich erkennbar, dass die Kate im Lauf der Zeit mit einfachen Mitteln um verschiedene Bauteile erweitert worden ist. Die Heterogenität des Gebäudes spiegelt sich auch in den mit unterschiedlichen Materialien – Ziegeln, Reet und Stroh – gedeckten Dächern wider. Details wie die schmale Hühnerleiter, die zu einer kleinen Öffnung in der Mauer führt, und die knorri- gen Äste mit saftig-grünen Blättern, viel- leicht die einer Glyzinie, die an dem Haus entlangranken, unterstützen den maleri- schen Eindruck des Bauwerks, das zu einem Teil der Natur zu werden scheint. Einige Staffagefiguren, die für Lebensalter, aber auch für Lebensschicksale stehen können, beleben den idyllischen Ort. Ein Flusslauf führt an dem Bauernhaus vorbei in den HENDR I K MEI JER (Amsterdam 1744–1793 London) Maler, Zeichner und Radierer von dekorativen, überwiegend komponierten Landschaften, topografischen Ansichten und Interieurs; nach erstem Zeichenunterricht bei dem wenig bekannten David Coenraadts (um 1713–1781) beginnt er seine künstlerische Ausbildung 1764 an der Amsterdamer Zeichenakademie ( Tekenacademie ), 1766 tritt er der Lukasgilde bei; 1768 Umzug nach Haarlem, Eintritt in die dortige Lukasgilde und Gründung einer Tapetenfabrik; 1772 wird er einer der Direktoren der neu gegründeten Haarlemer Zeichen- akademie ( Teekenacademie ); um 1774 reist er mit Wybrand Hendriks (Kat. Nr. 41, 42) nach England, im Jahr darauf zieht er nach Leiden, 1782 nach Amsterdam und um 1789 nach London, wo er sich an den Ausstellungen der Royal Academy beteiligt; Lehrer von u. a. Barend Hendrik Thier (Kat. Nr. 73) und Egbert van Drielst (Kat. Nr. 70–71). LITERATUR Van Eijnden/Van der Willigen 1816–1840, II, S. 261–263 | Minneapolis/Toledo/Philadelphia 1971/72, S. 61 | Paris/ Amsterdam 1990/91, S. 100 | Amsterdam 1997/98, S. 136–139, 368 | Schwartz 2004, S. 289 | Biesboer/Köhler 2006, S. 372 | Van de Kamp 2007 | Van de Kamp 2009 72 Bauernhaus an einem Bach, 1778 Wasser- und Deckfarben, Feder in Schwarz, teilweise mit Pinsel in Gummi (arabicum?) übergangen, über schwarzem Stift, auf geripp­ tem Büttenpapier; allseitige Einfassungslinie mit dem Pinsel in Braun; 314 × 410 mm; in der oberen rechten Ecke zwei Einstichlöcher, untere linke Ecke ausgerissen und alt wieder angesetzt, auf dem Verso am rechten Rand Reste einer älteren Montierung Wasserzeichen: an der oberen Blattkante Gegenmarke »D & C Blauw« (oben ange­ schnitten), darunter »IV« Signiert und datiert auf dem Holzbrett im Vordergrund links mit der Feder in Schwarz »H Meijer inv et fecit 1778.« Auf dem Verso in der unteren linken Ecke Stempel des Städelschen Kunstinstituts (L. 2356) Inv. Nr. 3247 PROVENIENZ Dr. Johann Georg Grambs (1756–1817), Frankfurt am Main; 1817 erworben für das Städelsche Kunstinstitut, Frankfurt am Main ( Catalogue 1825) LITERATUR keine Veröffentlichung bekannt geworden

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