Leseprobe

20 Für Kant und andere Vordenker der bürgerlichen Gesellschaft waren Liberali- sierung und Demokratisierung die Mittel zur fortschreitenden Zivilisierung des Menschen und Einhegung sowohl der innerstaatlichen Gewalt als auch des Krieges. Gleichwohl vertrat die bürgerliche Opposition gegen Feudalismus und Absolutismus von Anfang an ein kriegerisches Männlichkeitsideal. Sie über- nahm die Verherrlichung des Soldatentums und die Ästhetisierung des Militä- rischen und leistete so einem spezifisch bürgerlichen Militarismus Vorschub, der den Heldentod fürs Vaterland idealisierte und popularisierte. Im Lauf des 19. Jahrhunderts avancierte die freiwillige militärische Ertüchtigung in Schüt- zen- und Turnvereinen sowie in den Studentenverbindungen zur bürgerlichen Norm. Die historische Forschung sieht die bürgerlichen Ideen zunächst meist als friedlich und kosmopolitisch an. Erst im späten 19. Jahrhundert hätten sie sich radikalisiert zu einem »integralen Nationalismus«. In diesem Kontext sei auch die deutsche Gesellschaft militarisiert worden. Durch die Schulen (nationalis- tischer Geschichtsunterricht durch ehemalige Offiziere), Sedanfeiern, kriegs- verherrlichende Jugendliteratur, die allgemeine Wehrpflicht in der kaiserlichen Armee und den Reserveoffizier als bürgerliches Leitbild sei ein ursprünglich von der Aristokratie getragener »preußischer« Militarismus verbreitet worden. 1 Dass sich daneben ein teilweise von anderen Werten getragener, spezifisch bürgerlicher, liberaler und sogar demokratischer Militarismus durch das gesamte 19. Jahrhundert zieht, wurde oft übersehen. CHRISTIAN JANSEN Bürgerlich-liberale Positionen zu Nation und Krieg vor 1871

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