Leseprobe

56 57 Was war schön und was erhaben? Burke verband diese beiden Kategorien mit bestimmten Eigenschaften. Er war der erste, der den Begriff des Erhabenen dem Schönen gegenüberstellte. Um Objekte einer dieser beiden Kategorien – dem Schö- nen oder dem Erhabenen – zuzuordnen, wählte Burke äußere Merkmale, die seiner Ansicht nach jeder Zeitgenosse mit einer bestimmten Wertung assoziierte. 3 Seine ästhetische Sehweise war von den Ur­ instinkten des Betrachters bestimmt. Während alles Kleine, Glatte, Helle und Zarte die Fähigkeit besaß, im Betrachter einen Zustand der entspannten Freude hervorzurufen, erweckte alles Mächtige, Raue, Dunkle und Grenzenlose ein Gefühl der Spannung, der unterbewussten Begierde und der Angst und wurde dem Erhabenen zugeordnet. 4 Beide Kategorien unterschieden sich im Wecken absolut konträrer Emotionen. Das Schöne bereitete Freude und Vergnügen, löste Zärtlichkeit aus und rief Liebe hervor. Das Erhabene entsprang seiner Auffassung nach aus der Konfrontation mit Schmerz und Gefahr: Die Angst des Betrachters wurde zur treibenden Kraft des erhabenen Gefühls: 5 »Alles, was auf irgend- eine Weise geeignet ist, die Ideen von Schmerz und Gefahr zu erregen, das heißt alles, was irgendwie schrecklich ist oder mit schrecklichen Objekten in Beziehung steht oder in einer dem Schrecken ähnlichen Weise wirkt, ist eine Quelle des Erhabenen; das heißt, es ist dasjenige, was die stärkste Bewegung hervorbringt, die zu fühlen das Gemüt fähig ist.« 6 Besonders der sublime oder genussvolle Schrecken wurde zunächst in England und dann in Europa zur obersten ästhetischen Kategorie in der Kunst. Auf die Landschaftsmalerei übertragen, verband der Zeit­ genosse mit diesen Kategorien die unterschiedliche Wirkungskraft von Natur. Es waren nicht nur arkadische Weidelandschaften unter der Sonne Italiens und idyllische Seeansichten, sondern die gewalti- gen Seiten der Natur und die Darstellungen angsteinflößender Naturphänomene, die das Können der Maler forderten: Tosende Meereswogen, stürmische Gewitterwolken, in Seenot geratene Schiffe oder alpine Naturkatastrophen erzielten jenes Gefühl im Betrachter, das Burke als das erhabenste und stärkste beschrieb. Das Motiv der Alpen mit ihren Gletschern, unüberwindbaren Hindernissen, herabstürzenden Wasserfällen und tiefen Schluchten wurde im 18. Jahrhundert als Ideal des Erhabenen entdeckt. Den Kunstkritikern jener Zeit bot die von Burke vorgenommene Einordnung in nur zwei Kategorien zu wenig Platz für Abstufungen. So gab es zu viele Kunstwerke, die sich weder dem Erhabenen noch dem Schönen einwandfrei zuordnen ließen. Um 1782 ergänzte der Geistliche William Gilpin die Theorie Burkes daher um die Kategorie des Pittoresken ( Picturesque ) und bezog sich dabei direkt auf die Wirkungskraft von Bildkompositionen. Ihm zufolge glich das Pittoreske dem Schönen, hatte aber zugleich Merkmale des

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