Leseprobe

189 Diese ungewöhnliche Studie der Rückenfigur eines Reiters besticht durch ihre extrem orna­ mentale und geradezu kalligraphische Anmutung. Die Konturen sind mit langen und kurzen schwungvollen Linien angedeutet, während mit sicherer Hand hingeworfene Parallelschraffen bündelweise Schattenzonen angeben, die teils durch eine mit dem Pinsel aufgetragene graue Lavierung verstärkt werden. Das am linken Rand leider stark beschädigte Studienblatt trägt eine der seltenen Signaturen des lothringischen Künstlers Jacques Bellange. Trotz der summarischen, skizzenhaft-raschen Anlage erkennen wir zahlreiche Details. Der von hinten gesehene Reiter trägt einen Turban und beugt sich nach vorn zum nicht sichtbaren Kopf des Pferdes, während er in der verdeckten linken Hand allem Anschein nach einen Bogen hält. Ein Riemen verläuft vom Sattel zum Ansatz des Schweifs. Bellange hat sich während seiner gesamten Schaffenszeit immer wieder dem Thema des Rei- ters gewidmet. Das Berliner Kupferstichkabinett besitzt eine zweite, in Linienführung und gra- phischem Ausdruck diesem Blatt eng verwandte Studie von seiner Hand, die jedoch mit grauem Stift ausgeführt ist. 1 Neben Jacques Callot gilt Jacques Bellange gilt als der wichtigste Lothringer Künstler seiner Zeit. Über seine Herkunft und Ausbildung wissen wir kaum etwas. Ab 1595 ist er in Nancy nachweisbar, wo er zwischen 1602 und 1616 offizieller Maler amHof der Herzöge Karl III. und Heinrich II. von Lothringen war. Nancy spielte damals sowohl aufgrund seiner zentralen geographischen Lage zwischen Nord und Süd, zwischen Paris und den germanischen Ländern, als auch aufgrund der vielfältigen verwandtschaftlichen Beziehungen des lothringischen Hofes nach ganz Europa eine wichtige Rolle als europäisches Kunstzentrum. Aus direkten Verbindun- gen mit den Höfen in München, Florenz, Paris, Cleve und Rom ergab sich ein reger Austausch von Geschenken in Form von Kunstwerken aller Art. 2 Bisher wurden die beiden Berliner Reiter-Blätter mit Kostümentwürfen für ein Turnier am Fürstenhof in Zusammenhang gebracht. In Chantilly sind einige solcher Entwürfe von Bellange erhalten, doch sind diese farbig und in der Federzeichnung viel detailgenauer und weit weniger spontan ausgeführt. 3 Tatsächlich ist gerade die kalligraphische Manier das Besondere an diesem Blatt, und man erkennt in seinem Künstler den Graphiker, denn Jacques Bellange war, obwohl er dem Herzog als Maler diente, vor allem Zeichner und virtuoser Radierer. So erinnert das Blatt in seinem ausgesprochen ornamental-graphischen Charakter stark an eine Gruppe von Zeichnun- gen, die Jacques Callot nur wenige Jahre später nach Motiven einer 28 Blätter umfassenden druck- graphischen Serie von Antonio Tempesta, den »Chevaux de différents pays« (Pferde aus verschie- denen Ländern, datiert 1590) gezeichnet hat. Im Berliner Kupferstichkabinett wird ein besonders schönes Blatt aus Callots Studienserie aufbewahrt (Abb.). 4 Vom Typ her der Reiter-Zeichnung eng verwandt, lässt sich auch für diese zumindest eine Anregung aus dem Bereich der Druckgraphik annehmen, wenn zugleich der Entwurfscharakter auch nicht ganz ausgeschlossen werden soll. | DK 1  Jacques Bellange, Rückenfigur eines geharnischten Reiters zu Pferde, Bleigriffel auf Papier, 34,1×20,9 cm, Kupferstichkabi- nett der Staatlichen Museen zu Berlin, KdZ 14905. | 2 Vgl. Thuillier, in: Kat. Rennes 2001, S. 15 (Introduction). | 3 Kat. Chan- tilly 2015, Bellange XXI, S. 107: »Chevalier à l’aigle passageant«, Chantilly, Musée Condé, 1600–1606. | 4 Es gehört zu einer Gruppe von zwölf bis 13 Zeichnungen. Kopien sind nach einer druckgraphischen Serie von Tempesta, »Chevaux de différents pays«, datiert 1590. Dieses Blatt gibt Nr. 8 wieder (»Hic Maculis variis«), nur diese Berliner Zeichnung ist auch laviert und ist am nächsten am Kupferstich (vgl. Kat. Stockholm 1976, Kat.-Nr. 180). Feder in Schwarz, mit dem Pinsel grau laviert, auf Papier signiert unten rechts mit Feder und Tinte in Braun: J. Bellange 31,7×20,4 cm (am linken Blattrand unregel­ mäßig beschnitten) KdZ 12005 Provenienz: Slg. Charles Morin, Paris (Lugt 597); 1924 erworben Literatur in Auswahl: Wescher 1934, S. 37; Arnold 1947, S. 13; Kat. Rennes 2001, Kat.-Nr. 49, S. 220 (mit älterer Literatur); Prat 2013, S. 154, Abb. 321 Jacques Callot (nach Antonio Tempesta), Studie eines Pferdes nach links, Feder in Braun, mit dem Pinsel braun laviert, auf Papier, 23,8×28,3 cm, Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin (KdZ 21824)

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