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88 Mit den Kunstschätzen in und aus Deutschland befassten sich zwei sowjetische Organisationen. Zum einen war dies der sogenannte Trophäendienst der Roten Armee, welcher der Militärführung unterstellt war. ImHerbst 1941 gegründet, entwickelte er sich im Laufe des Krieges und wurde am Ende der Kriegs- handlungen immer bedeutender. Dieser beschränkte sich anfangs darauf, vom Feind zurückgelassene Waf- fen, Munition, Essensvorräte und Rohstoffe sicher­ zustellen und für die eigene Armee zur Verfügung zu stellen. Am Ende des Krieges kamen immer neue Aufgaben hinzu, in erster Linie Demontage und Ab- transport der Industrieanlagen, aber auch die Suche nach den Kunstwerken. Zum anderen gab es die Beauftragten der oben genannten Kunstkommission der Cˇ GK, die direkt der Regierung unterstellt waren. Die Sonderkommission bildete ab Februar 1945 die sogenannten Kunst-Tro- phäenbrigaden, die sich mit der Kunst befassten – kurz gesagt: Die Trophäenbrigaden. Sie sollten die Suche, die Auswahl und den Abtransport der Kultur- güter in die Sowjetunion gewährleisten. Diese beiden unterschiedlichen Organisationen – Trophäendienst und Trophäenbrigaden – hatten Aufgaben und Ent- scheidungsgewalt für ein gemeinsames Themen­ gebiet, weshalb sich zwangsläufig Zuständigkeits- konflikte ergaben. Am Beispiel von Sachsen haben wir die Berichte über Auffindung und Abtransport der Kunstschätze sowohl von der deutschen als auch von der sowjeti- schen Seite. Dr. Ragna Enking (Abb. 5), die erste Nachkriegsdirektorin der Dresdner Kunstsammlun- gen, beschreibt aus einer sehr persönlichen Pers- pektive die Ereignisse aus den Jahren 1945 und 1946. 7 Sie schildert aus der Sicht eines Museums- mitarbeiters die Ängste, Hoffnungen und Enttäu- schungen der Menschen in Sachsen am Ende des Krieges und die ersten Begegnungen mit denen, die diesen Krieg gewonnen hatten. Einer der Protago- nisten dieser Tage war Leonid Rabinowitsch (Abb. 6 bis 9). Er arbeitete als Maler im Opern- und Bal- lettheater Kiew, 1941 ging er als Freiwilliger an die Front, wurde gefangengenommen, flüchtete und erreichte als Unterleutnant mit dem 164. Bataillon der »1. Ukrainischen Front« am 7. Mai 1945 Dres- den. Sein Bataillon gehörte zum Trophäendienst der Roten Armee. Mit einem Befehl vom 17. Mai 1945 wurde er wegen seiner bereits geleisteten Arbeit zur Kunst-Trophäenbrigade abkommandiert. Somit wurde er, zeitlich versetzt, Mitglied beider konkur- rierender Organisationen, die sich mit erbeuteten Kunstschätzen beschäftigten. In diesen ersten Tagen nach dem Krieg war Rabinowitsch der Mann der Stunde. Bereits am 8. Mai desselben Jahres be- suchte er das Albertinum. Er stellte fest, dass trotz der Zerstörung die Museumsschätze wohl nicht durch die Bombardierung vernichtet, sondern davor 7  Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (im Folgenden: SKD-Archiv), 02 VA, Nr. 174: Enking, Ragna: Zwei Welten, Manuskript. In Auszügen veröffentlicht in: Kolb, Karin/Lupfer, Gilbert und Roth, Martin (Hg.): Zukunft seit 1560. Von der Kunstkammer zu den Staatli- chen Kunstsammlungen Dresden, Berlin/München 2010, S. 206–215. Abb. 6  Leonid Rabinowitsch, 1945

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