Katalog

93 3.1 Scheibendolch Deutsch oder italienisch, um 1479–1480 Dreikantklinge Stahl, eiserner Griff mit Perl- schnurverzierung, vergoldeter Vernietknauf und -scheibe GL 29,8 cm; KL 21,1 cm Reichsstadtmuseum Rothenburg o. d. T., Stiftung Hermann Baumann, ohne Inv.-Nr. (Kat. S. 618) Der Dolch als persönliche Waffe zur Selbstvertei- digung, als Werkzeug oder als Bestandteil von Tracht und Gewandung erfuhr zum Ausgang des Mittelalters eine immense Verbreitung über Län- der-, Geschlechts- und Standesgrenzen hinweg. Je nach finanziellen Möglichkeiten – allerdings auch reglementiert durch Vorgaben etwa von Kleiderordnungen – trugen Männer und Frauen, Städtebürger und Bauern, Adelige und Standes- personen mehr oder weniger prächtige Exempla- re in einer erstaunlichen Formenvielfalt: Schwei- zer- und Burgunderdolch, Basilard und Cinque- dea, Ringknauf- und Antennendolch, Ohren- oder Hodendolch – letzterer im deutschen Sprachraum verschämt Nierendolch genannt – allein die ver- schiedenen Typenbezeichnungen lassen die Viel- falt der Modeerscheinung »Dolch« erahnen. Zu den häufig zivilen Dolchvarianten als Bestandteil der Kleidung kamen weitere hinzu, die nicht nur repräsentativen, sondern vorrangig militärischen Charakter hatten. Dolchformen, die in der Form ihres Gefäßes an miniaturisierte Schwerter erin- nern, waren Komplementärwaffen zur Hauptbe- waffnung etwa der Ritter, der Reisigen oder des Landsknechtes. Der Scheibendolch als eine wei- tere typologische Sonderform lässt sich beiden Verwendungsbereichen, dem zivilen wie dem militärischen, zuschreiben. Da die Knauf- und Parierscheiben, die den obe- ren und unteren Abschluss des Gefäßes der Waf- fe bilden, sich für Dekor und Verzierung geradezu anbieten, verwundert ihre Beliebtheit als reprä- sentatives Kleidungselement natürlich nicht. Dass die Scheiben jedoch mehr als nur ein deko- ratives Element darstellten, belegen zahlreiche Abbildungen aus verschiedenen Fechtbüchern, ermöglichten sie doch ganz spezifische Techniken der Waffenführung im Kampf. So bot die untere Scheibe die Möglichkeit, mit der zweiten Hand verstärkten Druck auf die Waffe auszuüben. Au- ßerdem waren ausgesprochen spitze und starre Klingen, häufig von drei- oder mehrkantigem Durchschnitt, verbreitet – auch dies ein Beleg für die Nutzung der Waffe im Ernstkampf: Als Pan- zerstecher konnte mit derartigen Klingen in die vulnerablen Bereiche von Rüstungen (Visier- schlitze, Achselbereiche, Maschenpanzer u. ä.) eingedrungen werden.  U. F. Lit.: Wilfried Baumann: Historische Waffen und Rüstungen. Stiftung Hermann Baumann (Katalog zur Waffensammlung Stiftung Baumann, Reichsstadtmuseum Rothenburg o.d.T.), Rothenburg 2010, S. 618 3.2 Scheibendolch Deutsch (?), 2. Hälfte 15. Jahrhundert Stählerne Dreikantklinge, Stichblatt durchbro- chen mit gotischen Ornamenten, Scheibe hohl, Griffstück aus kanneliertem Eisenblech GL 37,4 cm; KL 26,1 cm; G 229 gr Leihgabe aus Privatbesitz Der filigrane Dolch aus einer Privatsammlung ist ein weiteres beredtes Beispiel für den Formen- reichtum spätmittelalterlicher Dolche, speziell der Gruppe der Scheibendolche. Herausragen- des Merkmal ist auch hier die schlanke Dreikant- klinge. Auffallend sind die Relationen der na- mensgebenden Scheiben des Dolchgefäßes: Die klingenseitige durchbrochene Parierscheibe mit Gürtelhaken ist deutlich kleiner als jene, die quasi den Knauf der Waffe bildet. Wie aus vielen Fechtbücher zu erkennen, erklärt sich die Größe dieser Scheibe mit der Notwendigkeit, mit der zweiten Hand im Kampf stärkeren Druck auf die Waffe ausüben zu können. Doch mag auch der Dekorgedanke, vor allem bei der Gestaltung re- präsentativer ziviler Scheibendolch-Exemplare eine gewisse Rolle gespielt haben.  P.F./U.F. 3. 1 3. 2

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