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326 Keine Garnison, kein Feldlager, kein Tross eines Heeres auf dem Marsch ohne Frauen. Vom Mit- telalter bis weit in die Neuzeit hinein prägten sie den militärischen Alltag mit. Dann verschwanden sie so schnell und spurlos aus dem Militärwesen, dass nur noch literarische Kunstfiguren an sie erinnern. Lediglich in Frankreich riss die Überlieferung niemals ab, 1 sodass es ungeachtet einer ab der Mitte des 19.Jahrhunderts zunehmenden Romantisierung möglich ist, sich mithilfe der dort vorhandenen Quellen ein vergleichsweise objektives Bild vom Gewerbe und Dasein der Tross- frauen zu machen. Wo immer möglich, wurden für den folgenden Beitrag aber auch Beispiele aus anderen Ländern herangezogen. Ob Schillers »Gustel von Blasewitz« 2 , Donizettis »Regimentstochter« 3 oder Brechts von einer Figur Grimmelshausens inspirierte »Mutter Courage« 4 – mit dem Begriff »Marketenderin« ver- binden wir zutiefst widersprüchliche Vorstellungen. »Je suis au genre humain utile dans la guerre Je nourris les soldats et repeuple la terre.« 5 So unbarmherzig offen wie in diesem französischen Trinklied des 18. Jahrhunderts wird das Los der Trossfrauen selten dargestellt. Ein gefälligeres und stark idealisiertes Bild vermittelt das Chanson »La Madelon«, das die Traumfrau der »Poilus« von 1914/18 feiert. Diese kokettiert ganz unverblümt: »Et pourquoi prendrais-je un seul homme/Quand j’aime tout un régiment?« 6 Die Dienste von Frauen im Heeresgefolge waren unverzichtbar. Sie stellten Grundbedürfnisse sicher, für deren Gewährleistung erst imVerlauf des 19. Jahrhunderts militärische Dienstposten geschaffen wurden. Die Gegenwart von Frauen milderte bisweilen die Rohheit der Kriegserleb- nisse ab. 7 Marketenderzelte waren Treffpunkte, deren Funktionen sich nicht von denen eines Gasthauses unterschieden. Dort wurde getrunken, gegessen, gespielt, diskutiert, gestritten, gekuppelt und gehandelt. Plünderer verkauften ihre Beute, andere suchten eine Gefährtin. 8 Befehlshabern war solches Treiben suspekt. Sie fürchteten um Disziplin und Moral der Truppe. Rechte und Pflichten der Angehörigen des Heeresgefolges wurden deshalb zu allen Zeiten und in allen Armeen immer wieder neu festgeschrieben. 9 Die »Profosse« 10 der Söldnerheere und später die »Auditoren« 11 sowie die Gendarmen der stehenden Heere überwachten die Einhaltung dieser Vorschriften. ImGegenzug genossen die Angehörigen des Gefolges militärischen Schutz. Preußischen Marketenderinnen wurde gegen die Einmalzahlung von 18 Groschen an den Gene- ral- oder Oberauditor einer Armee »jeglicher Schutz versprochen, so daß sie von Niemandem beraubt, bestohlen oder vergewaltiget werden mögen.« 12 Angehörige des Heeresgefolges galten jedoch als den Soldaten nicht gleichwertig. Wäscherinnen, Marketenderinnen oder Köchinnen wurden bei Bedarf von Truppenteilen direkt eingestellt. Diese Praxis ähnelte der, die man auch bei Engagements von Hoboisten 13 anwandte. Trossangehörigen wurde eine Unterwerfung unter militärische Disziplin und ein Bekenntnis zum Dienstherrn abverlangt. Das preußische Marke- tenderreglement von 1740 schrieb einen Eid vor. 14 Es gab zudem Festlegungen darüber, wer womit handeln durfte und welche Maße und Gewichte dabei verwendet werden sollten. 15 Der Terminus »Marketenderin« und die französischen Entsprechungen werden in der Folge ver- einfachend verwendet. In Frankreich bezeichnete man die Frauen des Heeresgefolges nach ihrem hauptsächlich betriebenen Gewerbe, obwohl diese Tätigkeiten selten exklusiv ausgeübt wurden. Die Auflistung vermittelt aber einen Überblick über die Talente der Trossfrauen: Man kannte Vivandières , abgeleitet von vivres , dem Wort für Lebensmittel, Cantinières , abgeleitet von la cantine , der Feldküche, aber auch Blanchisseuses , Wäscherinnen, abgeleitet von la blanchis- serie , der »Wäsche« oder »Bleiche«. 1854 wurde schließlich die Bezeichnung Cantinière offiziell. 16 Frauen schlossen sich aus unterschiedlichsten Gründen dem Heeresgefolge an. Sie durchliefen Entwicklungen, die in zahlreichen Fällen zum Status einer Marketenderin führten. Die Übergänge zwischen den Aufgabenbereichen der Frauen imHeeresgefolge waren aber fließend. 17 Jean-Paul Bertaud versuchte, sie zu kategorisieren und schrieb von »Soldatenfrauen«, dem »weibliche[n] Gefolge der Regimenter« und von » Cantinière s und Vivandières «. 18 | 1 | S. 325 Georg Philipp Rugendas I.: Soldatenfrau in einem Lager der Armee des Prinzen Eugen bei Höchstädt, 1704 (Gemälde- ausschnitt) | 2 | s G. H. Christian Geissler: Durchzug französischer Mar- ketender durch Leipzig, 1808. Karren eines Marketenders und seiner Familie, als das III. Korps der Großen Armee nach der Schlacht bei Auerstedt die Stadt Leipzig passiert, 1806

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