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Die Reisen des »Grafen von Weesenstein« 71 Aber auch die Sehenswürdigkeiten des Alten Ägypten wie Abu Simbel, Luxor oder Karnak wur­ den nicht ausgelassen. Am 6. Dezember hatten der Prinz und seine Reisegefährten das Glück, einem ganz besonderen Ereignis beizuwohnen. Auf dem Plan stand der Besuch der Ausgrabungen in Tell el-Amarna in Mittelägypten, die von der Deut­ schen Orient-Gesellschaft unter Leitung des Ar­ chäologen Ludwig Borchardt (1863–1938) durch­ geführt wurden. Gegen Mittag traf die Reisegesell­ schaft des Prinzen auf der Ausgrabungsstätte ein und wurde vom Grabungsleiter und seinen Mit­ arbeitern herumgeführt. Die Arbeiten konzentrier­ ten sich gerade auf ein Haus, das sich als Bildhau­ erwerkstatt herausstellte und zahlreiche Skulptu­ ren barg. Während der Besichtigung konnte eine besonders schöne Büste von außergewöhnlichem Kunstwert ausgegraben werden, die weltberühmte Königin Nofretete, die heute im Ägyptischen Mu­ seum in Berlin zu bewundern ist. Zu diesem au­ ßergewöhnlichen Ereignis schrieb der junge Archi­ tekt Paul Holländer, der an der Ausgrabung betei­ ligt gewesen war, an seinen Vater: »Solch ein Dusel wie ihn die Sachsen gehabt haben, steht einzig da, und sie werden diese Stunde bei uns so leicht nicht vergessen.« Prinz Johann Georg nutzte die Gelegen­ heit und war der erste, der die Büste in den Armen seiner Finder fotografierte. Ein Bild, das heute große Bekanntheit genießt. Wie Prinz Johann Georg dieses Ereignis empfunden hat, wissen wir nicht, denn er hat nie etwas darüber veröffentlicht. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte zu einer mehrjährigen Unterbrechung der Orientforschungen Johann Georgs. Auch wenn er bereits 1907 aus dem aktiven Militär­ dienst ausgeschieden war, hatte er als Vertreter des sächsischen Königs staatliche Pflichten zu erfüllen. Mehrfach im Jahr besuchte er zwischen 1914 und 1918 in seiner Funktion als Ehrenvorsitzender des Sächsischen Roten Kreuzes die Lazarette an den westlichen und östlichen Kriegsschauplätzen. Fotografien aus dieser Zeit zeigen ihn mit der Rot-Kreuz- Armbinde zwischen Soldaten. Auf seinen Reisen nach Polen, Galizien, der Slowakei und dem Baltikum besuchte er jedoch nicht nur die Front und die Soldaten, sondern nutzte sie zum Besuch von Klöstern und Kirchen und traf sich mit Erzbischöfen, Äbten und anderen Geistlichen. Er selbst bemängelte in einem seiner Werke später, dass er wegen der vielen Lazarettbesuche zu wenig Zeit für derartige Besichtigungen und Forschungen gehabt habe. Nach dem Ende des Krieges übersiedelte er mit Maria Immaculata im Sommer nach Freiburg im Breisgau. Von allen repräsentativen Verpflichtungen entbunden, konnte er sich Der Ägyptologe Hermann Ranke, Paul Holländer und ein Grabungsarbeiter (v.l.n.r.) präsentieren die Büste der Nofretete, Tell el-Armana, Foto: Prinz Johann Georg von Sachsen, 6.12.1912

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