Katalog

5 »Brücken bauen – Versöhnung leben« stand lange Zeit auf einem Banner am Baugerüst der Frauenkirche. Welche Bedeutung dieses Motto nicht nur als pastoraler Anspruch, sondern konkret auch imWiederaufbaugeschehen erlan- gen würde, war kaum absehbar. Schon die Fragen nach dem Sinn, der Legi- timation und der Funktion eines archäologischen Wiederaufbaus der Kirche inmitten des Zentrums der Stadt erregten Anfang der 90er Jahre intensive Diskussionen in der Fachwelt und der Öffentlichkeit. Ebenso wurde der Bau der Orgel von langanhaltenden und zum Teil äußerst kontrovers geführten Auseinandersetzungen begleitet. Der Position einer »kompromisslosen« Rekonstruktion des 1736 von Gottfried Silbermann geschaffenen Instruments stand die einer künstlerisch und funktional fortgeschriebenen, jedoch am his- torischen Konzept von Silbermann anknüpfenden Gestaltung gegenüber. In zahlreichen Beratungen, Symposien und Schriften wurden das Für und Wider dieser Positionen sorgfältig abgewogen, bis letztlich die Entscheidung getrof- fen wurde, ein Instrument bauen zu lassen, das stilistisch eine Brücke zwischen der zerstörten Silbermann-Orgel und einer modernen Orgel bilden und die puristisch-historisierende Auffassung mit der zeitgenössisch-neugestaltenden versöhnen soll. Damit folgte die neue Orgel der Frauenkirche der auch beim Wiederaufbau des Bauwerks zu Grunde liegenden Maxime, das historische Erscheinungsbild so getreu wie möglich zu rekonstruieren, jedoch im funktio­ nalen Bereich auch heutigen und künftigen Ansprüchen Rechnung zu tragen. Durch die Wahl des Straßburger Orgelbauers Daniel Kern, der seine künstle- rischen Wurzeln in der gleichen Stadt wie Gottfried Silbermann hat, ist dieser Brückenschlag besonders leicht gefallen, und es entstand ein Instrument, das deutlich die persönliche Handschrift seines Erbauers trägt, ohne die Geschichte des Ortes und der Silbermann-Orgel von 1736 zu negieren. Sachsen ist reich an weitgehend original erhaltenen, überwiegend hervor- ragend restaurierten Orgeln Gottfried Silbermanns, die uns nicht nur auf Grund ihrer höchsten künstlerischen und handwerklichen Qualität tief bewe- gen, sondern auch wegen ihrer Authentizität und der damit verbundenen unvergleichlichen Aura. Die neue Orgel der Frauenkirche kann und will keine Konkurrenz zu anderen Silbermann-Orgeln, etwa der der Hofkirche, sein. Ihr Klang unterstützt die einmalige Architektur des Raumes, die den Besuchern Geborgenheit, aber auch die Verbindung zum Himmel vermittelt; sie will die Besucher der Kirche trösten, umfangen, überraschen, begeistern und zur Ver- söhnung und zum Lob Gottes einladen. Vorwort Eberhard Burger Baudirektor i. R. Horst Hodick Orgelsachverständiger

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